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Montag, 17. Oktober 2016

165 | Wieder Kreta


Das erste Mal war ich Anfang der Neunziger auf Kreta. Mit zwei Freunden und DDR-Zelten auf einem Camping-Platz bei Mátala. Uns hatten das Abenteuer und Mátalas Hippie-Mythos gelockt. Wir kochten Spaghetti in einer einsamen Bucht, die nur über einen steilen Abstieg zu erreichen war, warfen Klippen-Muscheln in die Soße und philosophierten bei Amstel-Bier über das Leben. Über das vergangene und das kommende. Oder wir feierten die Gegenwart und gingen in eine Bar mit Live-Musik, um Spaß zu haben.
Das zweite Mal Kreta war letzten Sommer. Ich schrieb darüber. Mit meinen Söhnen war ich im Norden, in einem „Hotel mit Pool am Meer“. So hatten sie es sich gewünscht. Mein Fazit: Nie wieder Kreta im Hochsommer. Obwohl wir den Poolbereich kaum verlassen hatten, bekamen die Burschen einen Sonnenstich mit Erbrechen und Halluzinationen.
Dieses Mal scheine ich alles richtig gemacht zu haben: Ich bin mit meiner Freundin im Herbst hier, in einer kleinen, charmant einfach gehaltenen Pension. Ein Zimmerchen ohne Fernseher, dafür mit Balkon und Meerblick. Zeit zum Baden, Spazieren, Lesen und Schreiben. Das Wetter sommerlich, aber erträglich. Genau wie die verbliebenen Touristen. Alles gechillt und familiär. Nur das Zirpen der Zikaden ist nirgendwo zu hören.
Der Wirt aus Agia Galinis „O Faros“ betreibt seine bescheidene Taverne seit 1976. Tagsüber fährt er mit dem Boot die Fische fangen, die er abends gegrillt verkauft. Von seiner Frau zubereitet, von seinem Sohn serviert. Sind die Gäste wunschlos, sitzt er da, trinkt mit seinem Schwiegersohn Espresso, spricht mit der Tochter, lacht die kleinen Enkel an. Letztlich scheint er alles richtig gemacht zu haben.

2. Tag

Am Spätvormittag haben wir im „Ilios“ gefrühstückt. Das Kafenion wird seit 14 Jahren von Susanne und ihrem Mann Manolis geführt. Vor 15 Jahren hat es Susanne aus Deutschland hierher gezogen. Des Klimas und der archaischeren Lebensweise wegen. Und weil es in Deutschland zu viele Regeln gäbe.
Während wir auf das Frühstück warten, streicheln wir den Hundenachwuchs und kommen mit einem Paar aus Frankfurt ins Gespräch. Dann taucht ein großer, dicker Mann auf, den wir bereits vor einer Taverne mit einer Lyra in den Händen gesehen hatten. Schwerfällig und betrunken redend nimmt er sich einen Stuhl und setzt sich zu Manolis.
„War gestern Vollmond?“, fragt Susanne beim Servieren. War es, wieso?
„Er ist Quartalssäufer, der nur bei Vollmond trinkt. Dann zerstört er seinen Laden und einiges mehr.“ Ansonsten, sagt Susanne, sei er ein ganz Lieber, ehrlich. Darauf jault eines der Welpen auf, weil der ganz liebe, aber restalkoholisierte Mann beim Gehen auf ihn raufgetreten ist.
Das Essen schmeckt sehr gut, alles einfach, aber köstlich und frisch zubereitet. Nur der griechische Kaffee kommt nicht an meinen türkischen von zu Hause ran. Der Joghurt wird mit Bio-Honig gesüßt, das Gemüse mit Fleur de Sel gewürzt. Unbearbeitetes Meersalz, das Manolis in Tüten abfüllt, wenn er nicht gerade angelt, sammelt, jagt, schlachtet oder kocht, und Susanne zu 5,- € verkauft. Oliven und eigenes Olivenöl vertreiben sie auch, steht in der Speisenkarte, eingelegte Artischocken, Pilze, wilde Zwiebeln, Wildkräuter, Bergtee, Raki, Wein und Thymian-Honig.
„Ihr müsst abends wiederkommen“, sagt Susanne, als wir aufbrechen. Wir versprechen es. Denn wir wollen unbedingt Manolis kretische und Susannes italienische Speisen probieren.
Da der Abend noch fern ist und das Wetter in zwei Tagen kühler werden soll, nutzen wir den Tag, um mit unserem Mietauto zu einem einsamen Strand zu fahren. „NO NUDISM“ steht dort mehrfach rot auf Felsblöcken. Dann ein gesprayter Farbstrich und der Hinweis: „YES YES NUDISM HERE OK!“
Weil ohnehin keiner weiter hier ist, amüsiert uns das Ganze um so mehr. Der Strandbereich ist sandfrei. Unsere Badetücher haben wir auf grauem Kies ausgebreitet und wegen des Windes mit Steinen beschwert. Wir lesen, genießen die Sonne und uns. Ab und an gehe ich tauchen. Wie in einem riesigen Aquarium beobachte ich finger- und handgroße Fische durch meine 6-Euro-Taucherbrille. Schwarze, blasse mit Streifen oder Tupfen, welche mit gelbem Rücken. Sie zupfen am Algenrasen großer Unterwasserfelsen und haben es nicht eilig, mir zu entkommen. Wie herrlich, denke ich und lasse das Unterwasserblau auf mich wirken. Ich höre den rollenden Kies der Brandung, ganz so, als würde das Meer atmen. Und wahrscheinlich tut es das auch.
Gegen fünf geht es über Kretas abenteuerliche Serpentinen zurück nach Agia Galini. Und gegen sieben frisch geduscht zum „Ilios“. Wir bestellen Weißwein und Fassbier, das in geeisten Gläsern gebracht wird, einen mediterranen Vorspeisenteller, fangfrischen Octopus auf Spaghetti und Rinderstifado (Schmorfleisch) mit Kartoffeln. Manolis behauptet allerdings, dass er für unser Essen einen der Welpen geschlachtet hätte, lacht und kommt immer wieder mit einer Raki-Flasche an, um nachzuschenken.
Den Abend beschließen wir erneut mit Kerzen- und Mondschein auf dem Balkon.

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